Digital Gender Gap – profitieren Frauen vom digitalen Wandel?
Mit den Begriffen Pay Gap oder Renten Gap können die meisten Menschen etwas anfangen – wer kennt jedoch den Digital Gender Gap? Der Ausdruck bezeichnet die Tatsache, dass Frauen über geringere digitale Kenntnisse verfügen als Männer. Zu diesem Ergebnis kommen mehrere Studien (Quellenangaben siehe hier). Gleichzeitig hält das digitale Zeitalter insbesondere für Frauen viele Chancen bereit. Auf diesem Gedanken basiert auch unser Projekt WANDA, welches das Ziel verfolgt, benachteiligten Frauen bessere Startchancen auf einem zunehmend digitalisierten Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Der folgende Blogartikel beschäftigt sich mit den Benachteiligungen von (mehrfach diskriminierten) Frauen im Digitalisierungsprozess, zeigt jedoch auch Chancen auf.
Digital Divide – Spiegel gesellschaftlicher Ungleichheiten
Ob jemand über geringe oder ausgeprägte digitale Kompetenzen verfügt, ist selten Ergebnis individueller Entscheidungen, sondern hängt meist von verschiedenen (Risiko-)Faktoren ab. Der sogenannte Digital Divide spiegelt gesellschaftliche Ungleichheiten wieder, denn Alter, Bildung und Geschlecht beeinflussen, wer im digitalen Abseits landet. Konkret bedeutet das: Frauen verfügen über weniger digitale Kompetenzen, Personen mit geringerer Bildung werden häufiger digital abgehängt als Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss und die Chance, zu den sogenannten Nonlinern (Personen, die das Internet überhaupt nicht nutzen) zu gehören, steigt mit dem Alter. Migrationshintergrund, prekäre Beschäftigung oder Arbeitslosigkeit zählen ebenfalls zu den Risikofaktoren. Je mehr Benachteiligungen auf eine Person zutreffen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie nur über geringe digitale Kompetenzen verfügt oder sogar zur Gruppe der digitalen Analphabet*innen zählt.
Bei unseren Teilnehmerinnen kommen häufig mehrere Faktoren zusammen. Sie haben meist keine hohen Bildungsabschlüsse und häufig ist ein Migrationshintergrund vorhanden. Bei Wiedereinsteigerinnen kommt zusätzlich noch der Faktor Alter hinzu. Der gemeinsame Nenner unserer Klientel besteht jedoch in der Kategorie Geschlecht, denn wir arbeiten ausschließlich mit Frauen und Mädchen.
Daher widmen wir uns der Frage: Warum verfügen Frauen über geringere digitale Kompetenzen und welche Auswirkungen hat dies?
Geringere Kompetenzen – (warum) ist das so?
In Umfragen geben Frauen durchschnittlich geringere Softwarekenntnisse an. Ein Grund dafür liegt in der geschlechtsspezifischen Sozialisation: Aufgrund mangelnder Vorbilder und Geschlechterklischees wird Mädchen der Zugang zur digitalen Welt erschwert. Stereotype führen dazu, dass Frauen ihre Interessen häufig auf Sprachen und soziale Fächer richten und seltener MINT-Berufe wählen. Es ist daher zentral, Mädchen bereits früh für digitale Technik zu begeistern und ihr Selbstvertrauen zu stärken. Denn: Möglicherweise verfügen Frauen gar nicht über geringere Digitalkompetenzen, sondern schätzen ihre Fähigkeiten schlicht schlechter ein, als sie sind. Praktische Tests zeigen, dass Mädchen dazu neigen, ihre Kenntnisse in stereotyp besetzten Kompetenzfeldern wie Mathematik auch bei objektiv gleichen Leistungen zu unterschätzen – während Jungen sich häufig überschätzen.
Die geschlechtsspezifische Segregation in Männer- und Frauendomänen setzt sich am Arbeitsmarkt fort, weshalb Frauen in geringerem Umfang mit digitalen Technologien arbeiten. Doch selbst in den gleichen Berufen gibt es Unterschiede: Während drei Viertel der Männer in Deutschland von ihren Unternehmen mit Smartphones, Notebooks und anderen Geräten ausgestattet werden, erhalten nur gut die Hälfte der Frauen im gleichen Job eine vergleichbare digitale Ausstattung. Zudem beteiligen Firmen Mitarbeiterinnen seltener bei der Auswahl neuer Software und dem Einsatz digitaler Technik am Arbeitsplatz als ihre männlichen Kollegen. Nicht zuletzt wirken sich auch andere Ungleichheitskategorien auf dem Arbeitsmarkt aus: So arbeiten jüngere, höher qualifizierte oder vollzeitbeschäftigte Frauen häufiger mit digitalen Technologien als ältere, geringqualifizierte oder teilzeitbeschäftigte. Auch bei unserer Zielgruppe zeigt sich der Digital Gender Gap. Daher nutzen wir im Projekt WANDA die vorhandenen Ressourcen unserer Teilnehmerinnen, um darauf aufbauend digitale Kenntnisse zu vermitteln – denn lediglich ein Drittel geringqualifizierter Frauen arbeiten mit digitaler Technik, im Gegensatz zu 58 Prozent der geringqualifizierten Männer. Dieser Zustand ist nicht nur aus gleichstellungspolitischen Gründen problematisch, sondern auch aus unternehmerischer Sicht: Digitalisierung braucht Frauen.
Von Soft Skills zu Future Skills oder warum Digitalisierung Frauen braucht
In Berufen, die direkt von der digitalen Transformation profitieren, stellen Frauen bisher eine Minderheit dar – so sind gerade einmal 16 Prozent aller IT-Fachkräfte weiblich. Seit Jahren steigt der Bedarf an Fachkräften in diesem Arbeitsgebiet und bereits heute gelten drei von vier Jobs in der IT-Branche als Engpassberufe. Doch bisher männlich dominierte Digitalisierungsbranchen benötigen Frauen nicht nur, um ihren Mangel an Arbeitskräften zu decken, sondern vor allem für neue Impulse und wirtschaftliche Weiterentwicklung. Ein Beispiel hierfür: Von Männern entwickelte digitale Anwendungen wie Gesundheitsapps oder intelligente Karriereportale orientieren sich häufig nur an männlichen Bedürfnissen – mit teils fatalen Folgen. So wurden Spracherkennungssysteme ohne Rücksicht auf höhere Stimmlagen wie die von Frauen entwickelt. Da diese Geräte nur für die Hälfte aller Nutzer*innen funktionierten, mussten die Systeme korrigiert werden – ein Fehler, der durch Mitarbeit von Frauen hätte verhindert werden können.
In neu entstehenden Berufsfeldern gewinnen Skills wie Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit an Bedeutung. Ohne die Fähigkeit, Wissen auszutauschen und weiterzuvermitteln, wird Expertise nahezu wertlos – denn die Zukunft liegt nicht in der Kompetenz Einzelner, sondern in der kollektiven Intelligenz und Zusammenarbeit interdisziplinärer Teams. Damit erhalten bisher meist weiblich konnotierte Fähigkeiten eine entscheidende Aufwertung, was sich auch im Namen wiederspiegelt: Soziale und kommunikative Fähigkeiten gelten nicht länger als „Soft“ Skills, sondern zählen zu den Future Skills bzw. Digitalkompetenzen dazu. Fest steht: Ohne Frauen ist Digitalisierung nicht machbar, denn Diversität fördert nachweislich Innovation. Doch nicht nur Unternehmen profitieren durch Einstellung von Frauen; auch für Frauen bietet das digitale Zeitalter große Chancen.
Welche Chancen bietet Digitalisierung Frauen?
Werden die Weichen richtig gestellt, bietet Digitalisierung gerade für Frauen große Entwicklungsmöglichkeiten. Völlig neue Rollen und Tätigkeitsprofile entstehen und Arbeitskräfte werden dringend benötigt. Da die bisher als Soft Skills geltenden sozialen Fähigkeiten als Teil digitaler Kompetenzen zukünftig an Bedeutung gewinnen, hält das digitale Zeitalter beruflich mehr Chancen für Frauen bereit. Zugänge zu neuen Berufsfeldern eröffnen Frauen gute Beschäftigungs- und Einkommensperspektiven.
Zudem kann mit Hilfe der Digitalisierung die Gleichstellung von Frauen und Männern verbessert werden. Wie bereits im letzten Blogartikel zum Thema Homeoffice angesprochen, ermöglicht Digitalisierung zeitlich und örtlich flexibleres Arbeiten. Dies kann sich positiv auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auswirken: Etwa 20 Prozent der weiblichen Angestellten mit digitalisierten Arbeitsplätzen berichten von einer Verbesserung der Vereinbarkeitssituation. Mütter und Väter können vom mobilen Arbeiten profitieren, wenn sie die Zeitersparnis durch das Wegfallen von Fahrtwegen für eine Erhöhung der Arbeitszeit nutzen.
Die Option, von Zuhause zu arbeiten, führt häufig zu einem Anstieg der vertraglichen Arbeitszeit sowie zu Gehaltszuwächsen – der bei Müttern sogar größer als bei Vätern ausfällt. Dies lässt sich jedoch möglicherweise auch darauf zurückführen, dass hochdigitalisierte Unternehmen häufig eine besonders familienfreundliche Unternehmenskultur besitzen. Gleichzeitig kann Digitalisierung die Gleichstellung auch hemmen und selbst flexibles Arbeiten birgt Risiken in Bezug auf Chancengleichheit: Etwa wenn Väter wegfallende Wegezeiten als Arbeitszeit nutzen, Frauen hingegen Zeitersparnisse für die Betreuung der Kinder aufwenden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Frauen bisher seltener Gestalterinnen der Digitalisierung sind – mit den richtigen Maßnahmen aber zu deren Gewinnerinnen zählen können. Mit unserem Projekt WANDA fördern wir genau das: Wir vermitteln Teilnehmerinnen digitale Kompetenzen, um sie für den digitalisierten Arbeitsmarkt gut aufzustellen.
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